SACRO GRA

DAS ANDERE ROM

Es gibt das Rom der Paläste, Gärten und historischen Sehenswürdigkeiten. Und es gibt ein ganz anderes Rom, abseits vom Zentrum und allen Touristenattraktionen, entlang des riesigen Autobahnrings GRA, der die italienische Hauptstadt auf 70 km Länge umkreist. In seinem preisgekrönten Film interessiert sich Regisseur Gianfranco Rosi weniger für die Mammutautobahn an sich, sondern für die unzähligen Geschichten und Figuren um sie herum. In faszinierenden, großen Kinobildern porträtiert er ungewöhnliche Menschen, die hier an der Peripherie, im Niemandsland leben:

Der Biologe Francesco führt einen verzweifelten Kampf gegen gefräßige Käfer, die Italiens Palmenhaine bedrohen. Der seltsame Prinz Filippo thront mit großer Geste in seinem Anwesen, das er für Fotoshootings vermietet. Zwei ältere Prostituierte warten an der Autobahn unverdrossen auf Kundschaft. Der Fischer Cesare sorgt sich um die Zukunft der einheimischen Aale. Ein Rettungssanitäter birgt täglich neue Unfallopfer. Und dann ist da der verarmte Adelige Paolo, der mit seiner erwachsenen Tochter auf engstem Raum in einem Hochhaus lebt und uns durch seine kauzige Art umgehend ans Herz wächst.
Beim Filmfestival von Venedig 2013 wurde SACRO GRA mit dem Goldenen Löwen als Bester Film ausgezeichnet.

Regie: Gianfranco Rosi
Drehbuch: Gianfranco Rosi, nach einer Idee von Nicolò Bassetti
Kamera und Ton: Gianfranco Rosi
Schnitt: Jacopo Quadri
Produktion: Marco Visalberghi für DocLab

Italien 2013
93 Minuten, OmU

Cinema!Italia! Cinema!Italia!

Der GRA, dieser niemals abschwellende Strom aus Autos, und seine Anwohner sind eine Realität, die förmlich danach schreit, gesehen und erkundet zu werden. Sie enthüllt Widersprüche, bei denen der Zuschauer vor Staunen mit offenem Mund dasitzt: ein Franziskanermönch fotografiert auf dem Seitenstreifen den Himmel; Schafsherden grasen nur wenige Meter entfernt von den vorbeirasenden Autos. Welten in Bewegung, die sich kreuzen, ohne voneinander etwas zu ahnen. Bevor ich mit dem Filmen begann, gab es einen langsamen Prozess der Annäherung an die Menschen und ihre Geschichten. Es dauerte Monate, die richtige Distanz zwischen Subjekt und Kamera auszuloten, herauszufinden, aus welchem Winkel man filmt, wie die Einstellung sein muss. Wenn ich dann endlich mit dem Drehen beginne, lösen sich alle Zweifel in Luft auf. In diesem Moment gibt es nur mich und die Wirklichkeit, selbst die Kamera scheint in meinen Händen zu verschwinden.
Gianfranco Rosi

Ist Sacro GRA wirklich ein Dokumentarfilm? Was passiert anderes in einem Dokumentarfilm als im Spielfilm? Wie die besten Dokumentarfilme ist auch Sacro GRA ein großer Film der Fiktion. Er zeigt Geschichten, die unsere Wirklichkeit ausmachen. Und erfunden werden sie von der Filmkamera. Der Zuschauer verliert sich in dem lebendigen Gewirr aus Geschichten, die Sacro GRA ausmachen: der Aalfischer, der Sanitäter, der verarmte Adlige. Wohin bewegen sie sich, diese Leben, die in Sacro GRA zu Geschichten werden, und warum? Der Filmkamera bleibt, sie zu erträumen und uns zu erzählen.
Roberto Escobar, l’Espresso

Cinema!Italia!

Die Autos rasen vorbei, die Jahreszeiten wechseln. Sacro GRA ist ein einzigartiger Film, sowohl vom Aufbau als auch von der Umsetzung. Stellenweise scheint er gar das Gegenstück zu Paolo Sorrentinos La Grande Bellezza zu sein. Als wären die Feste, die Terrassen, Toni Servillos Irrfahrten aus La Grande Bellezza in dieses extraurbane Mosaik ohne Mittelpunkt, ohne Bewusstsein, ohne Grenzen aufgegangen. Als wäre der GRA inzwischen auf tragische Weise endgültig zur Via Veneto unserer Zeit geworden. Sacro GRA ist mehr als ein Film, es ist ein Epos der Bilder. Ein Epos, in dem Fetzen von Geschichten auftauchen, Bruchstücke von Existenzen, deren Profil wir niemals wirklich erfassen werden.
Fabio Ferzetti, Il Messaggero

Gianfranco Rosi (1964, Asmara/Eritrea). Studium an der New York University Film School. 1993 entsteht sein mehrfach prämierter Dokumentarfilm Boatman. Arbeitet auch als Kameramann und dreht einige Kurzfilme (u.a. Afterwards, 2000). Es folgen die Dokumentarfilme Below Sea Level (2008) und El Sicario - Room 164 (2010), das Aufsehen erregende Porträt eines Auftragskillers. Für Sacro GRA (2013) wird er beim Filmfestival von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.